Aktionen auf dem U-Bahnhof Alexanderplatz 1990-2005

Interview mit Cornelia Schleime

Cornelia Schleime wurde 1953 in Ost-Berlin geboren, absolvierte 1970 bis 1975 eine Friseurlehre sowie ein Studium als Maskenbildnerin und arbeitete als Pferdepflegerin.

1975 bis 1980 studierte Sie Grafik und Malerei an der HfBK Dresden und hatte ab 1981 Ausstellungsverbot in der DDR.

1984 übersiedelte sie nach West-Berlin. Im Zusammenhang mit der Ausreise verschwand ihr gesamtes bis dahin geschaffenes Oeuvre spurlos.

1985 bekam sie das Arbeitsstipendium des Senats für Kulturelle Angelegenheiten Berlin und 1989 das PS1 - Stipendium des DAAD (Deutscher Akademischer Austausch Dienst), verbunden mit einem einjährigen Arbeitsaufenthalt in New York.

2000 - Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste, Dresden
2003 - Gabriele-Münter-Preis
2004 - Fred-Thieler-Preis, Berlin
2005 - Award of Excellent Painting, Nationalmuseum China
Professur an der Kunstakademie Münster
Biennale Bejing, China.
Biennale National Galerie, Prag.


Christoph Bannat (C.B.): Wie haben Sie den U2- Alexanderplatz Wettbewerb kennen gelernt?

Cornelia Schleime (C.S.): Ich kannte den U2- Alexanderplatz Wettbewerb vorher nicht, auch nicht zu Ostzeiten. 1989 hatte ich ein PS1-Stipendium für New York. 1990/91, ich war frisch aus New York zurückgekommen, da bekam ich die Einladung als telefonische Anfrage, ob ich nicht etwas für den Wettbewerb anfertigen wolle.

C.B.: Heute sind Sie ja eher als Malerin bekannt. Hat Sie damals Kunst im öffentlichen Raum interessiert?

C.S.: Nein, Kunst im öffentlichen Raum hatte mich auch damals nicht besonders Interessiert. Und mit Auftragsarbeiten, egal für wen hatte ich immer schon meine Schwierigkeiten. Als Malerin hat man seine eigene Autonomie und entscheidet in jedem Moment, in welche Richtung das Bild geht. Im Westen kamen oft Leute, Sammler zum Beispiel, die sich von mir porträtieren lassen wollten, das hab ich immer abgelehnt. Sie können die Bilder kaufen, was aber Aufträge betrifft, bin ich nicht kompatibel.

C.B.: Sie haben dann eine Arbeit für den U2-Wettbewerb gemacht, wie also kam es dazu?

C.S.: Als die Anfrage an mich herangetragen wurde, malte ich schon zwei Jahre nicht mehr. Ich hatte während meines New York Aufenthaltes angefangen, konzeptuell zu arbeiten. Das sah so aus, dass ich Video-Interviews mit Farbigen in New York machte und das dann in Berlin fortführte. Ich widmete mich also ausschließlich dem Interviewprojekt.

C.B.: Was waren das für Interviews?

C.S.: Ich stellte Fragen zur Integration, zur kulturellen Herkunft Sexualität, Tradition und nach Irritationen, welche die Farbigen im Alltag ihres neuen kulturellen Umfeld erlebt hatten.

C.B.: Hat die Arbeitsgruppe des U2-Wettbewerbs Sie aufgrund dieser Thematik angesprochen ?

C.S.: Nein, die kannten diese Arbeiten gar nicht, denn ich hatte diese bis zu dem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht. Ich denke, es waren praktische Gründe. Ich bin ja Berliner Künstlerin und da wurden ja viele Berliner Künstler angefragt.

C.B.: Sie wurde also nicht angefragt, weil Sie gerade dieses Interviewprojekt hatten ?

C.S.: Nein, ich arbeitete für mich mit meinen Video-Interviewtapes. Also auf einer ganz anderen medialen Ebene als das, was auf dem Bahnsteig gezeigt werden konnte.

C.B.: Wissen Sie, was von der U2-Arbeitsgruppe erwartet wurde?

Ray B

 

C.S.: Als die Arbeitsgruppe bei mir anfragte, dachten sie wohl an ein gemaltes Bild, da sie mich nur als Malerin kannten. Ich sagte denen dann, dass ich es mir überlegen müsste, sie sollten mir eine Woche Bedenkzeit geben. In dieser Woche erinnerte ich mich an den Fall des verurteilten „Schwarzfahrers“ Ray B., den ich zuvor interviewt hatte und sah die Chance, diesen hier noch einmal zu dokumentieren.

C.B: Warum haben Sie überhaupt Interviews gerade mit Farbigen gemacht?

C.S.: Erst einmal, weil es mich interessierte, denn mir war aufgefallen, dass Fragen zum Rassismus in dieser Zeit nicht wirklich präsent waren. Das ganze „Multikulturelle“ setzte erst viel später in Deutschland ein. Vielleicht auch, weil ich in New York selbst eine Fremde war. Ich kam aus der DDR und die Mauer fiel, während ich in New York war, und plötzlich sah ich viele Parallelen. Ich empfand wie die Farbigen in New York, es war mir, als teilten wir die Erfahrung der kulturellen Entwurzelung. Aber eigentlich weiß ich nie genau, warum ich mit etwas anfange. Es waren auch die Kontakte zu farbigen Künstlern in New York, die mir sagten, wie schwer sie es hatten, dass sie mehr oder weniger nur in Harlem ausstellen durften, also nur auf dieser Ethno-Schiene wahrgenommen wurden. Und ähnliche Erfahrungen setzten sich dann mit den Interviews in Berlin fort.

C.B.: Können Sie kurz ihre ästhetische Herangehensweise beschreiben?

Zeitungsausschnitt

 

C.S.: Im Fall Ray B. habe ich ein Video-Still aus meinem Interview und ausgewählte Textteile neben die Presseveröffentlichungen, die den Fall damals behandelten, gestellt. Ich hörte dann schon vorher, dass der, wer auch immer - ich glaube, der Marketingchef der U-Bahn - die Arbeit nicht wollte.

C.B.: Und wie haben die mitwirkenden Künstler des Wettbewerbs reagiert?

C.S.: Sie fanden die Arbeit gut, da sie etwas dokumentierte, das mit der U-Bahn zusammenhing. Für mich war diese Form die einzig machbare, um an einem solchen Wettbewerb teilzunehmen. Ich würde da, ironisch gesprochen, keine Maus malen und die dann hinhängen. Also ein solches Projekt wie den U2-Alexanderplatz Wettbewerb unter rein ästhetischen Gesichtspunkten zu sehen, interessierte mich nicht. Als Solitär, also als Einzelbild, vielleicht - aber nicht in solchen Gruppenzusammenhängen, wie sie der Wettbewerb bietet. Da muss man auch den Ort Alexanderplatz und seine Geschichte sehen. Die Werbeflächen waren verschwunden, und jetzt soll man da Bildchen hinhängen. Das kann doch nicht die Aufgabe von Künstlern sein. Mir war es wichtig, etwas zu dokumentieren, was auch mit dem Ort zu tun hat. Das war jetzt nicht gerade Werbung für die U-Bahn, sondern die Dokumentation eines Problemfalles.

C.B.: Gab es Solidaritätsbekundungen der beteiligten Künstler und der Arbeitsgruppe, nach dem Ihre Arbeit abgehängt worden war?

C.S.: Die Künstler hatten sich erst in Berlin-Buch in der Werkhalle kennen gelernt, in der die Arbeiten auf die Plakatwände gebracht wurden. Ich kann mich nur daran erinnern, dass viele das gut fanden.

C.B.: Wie verhielt sich die Projektleitung?

C.S.: Das Bild wurde also nicht aufgehängt, worauf die Projektleitung mich bat, unbedingt zur Eröffnung zu kommen, denn sie fanden das auch ein Unding. Es war eigentlich eine Zensur einer künstlerischen Arbeit.

C.B.: Gab es eine Begründungen von Seiten der BVG?

Zeitungsausschnitt

 

C.S.: Eigentlich keine, oder nur eine fadenscheinige. Ich hab noch ein Interview mit dem Marketingchef aus der „Abendschau“ (tägliche Nachrichtensendung des SFB- Fernsehen). Da redet er sich irgendwie raus, es hätte nicht gepasst und so etwas.

C.B.: Gab es danach aktive Solidarität innerhalb der Gruppe?

C.S.: Ich glaube, da war was im Gespräch: einige wollten aus Solidarität ihre eigenen Arbeiten abhängen, aber das waren nur fünf oder sechs, und dann zerfiel das Ganze innerhalb der Gruppe. Es hätte auch keinen Sinn gehabt, wenn nicht alle mitgemacht hätten.

C.B.: Die Arbeitsgruppe U2 hätte ja drauf bestehen können.

C.S.: Die haben dann auf eine Leerfläche bestanden, mit dem Vermerk: Diese Arbeit wurde entfernt. Es war also keine Wischiwaschi-Aktion. Das wäre es, wenn ein anderer Künstler eingesprungen wäre und ein anderes Bild dort gehangen hätte.

C.B.: Haben sie den Wettbewerb als eine Form von Gegenöffentlichkeit verstanden?

C.S.: Ich glaube, es wurde nur innerhalb der U-Bahn wahrgenommen. Für mich war diese Arbeit eine Form der Wiedergutmachung für Ray B. Das Absurde war, dass er wegen Fahrens ohne Fahrschein aus der Bahn geholt wurde, und es eine kleine Rangelei gab, nachdem er rassistisch beleidigt wurde. Daraus wurde dann eine Prügelei gemacht, und in der Verhandlung brachte die BVG plötzlich einen Zeugen und Ray B. hatte keinen. Durch die Presse wurde der ganze Fall dann noch dramatisiert, was Ray B. zusätzlich traumatisierte. Er selbst sah die U2- Plakataktion dann als eine Form der Wiedergutmachung, bei der das in der Öffentlichkeit entstandene Bild zurechtgerückt wurde.

C.B.: Haben Sie sich im Zusammenhang mit dieser Veröffentlichung für Kunst oder künstlerische Strategien interessiert?

C.S.: Kunst hat mich in diesem Zusammenhang nur insofern interessiert, dass hier etwas dokumentiert wurde. Das ganze Videointerviewprojekt war ja für eine Ausstellung - für das Goetheinstitut zur Olympiade in Atlanta - angedacht. Die Interviews sollten auf mehreren, von der Decke hängenden Monitoren laufen. Die Ausstellung fand dann aber aus finanziellen Gründen nicht statt. Auf dem U2-Bahnsteig ging es mir nur um eine Dokumentation des Vorfalls.

C.B.: Also weniger um eine künstlerische Herangehensweise?

C.S.: Was heißt hier künstlerisch, da könnte man auch einen Dokumentarfilmer fragen, ob das Kunst ist, was er macht, oder ob dies weniger Kunst ist als z. B. ein Spielfilm. Meine Videoarbeit sah ich eher in der Tradition von Andy Warhols Filmen, die auch immer etwas Unfertiges haben. In diesem Sinne verstand ich meine Videoportraits. Später wurde genau diese Arbeit über Ray B. in der Berliner Kunsthalle, ehemals am Zoo, und in der „Echtzeit", Positionen Deutscher Kunst – eine Ausstellung im Nationalmuseum für Gegenwartskunst in Oslo, gezeigt.

C.B.: Sehen Sie sich heute die Kunst auf dem U2-Alexanderplatzbahnsteig an?

C.S.: Nein, ich fahre entweder mit dem Fahrrad, dem Auto, oder laufe. Ich fahre einfach zu selten U-Bahn.

Das Interview führte Christoph Bannat

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